ERASMUS+ "Jugend in Aktion": Bergtour Ringelspitz (CH)

Im Rahmen des Erasmus+ „Jugend in Aktion“ Programms, fand von 17.-18. August 2019, eine Bergtour auf den Ringelspitz in der Schweiz statt. In Kooperation der Naturfreunde Vorarlberg und des Liechtensteiner Alpenvereins

Der Ringelspitz ist ein Dreitausender und der höchste Gipfel im Kanton St. Gallen. Die «Vaterland»-Redaktorin Dorothea Alber nahm an einer Tour auf diesen Gipfel teil, die vom Liechtensteiner Alpenverein organisiert wurde. Schlussendlich ein wunderbares Gefühl und ein faszinierendes Erlebnis, schreibt sie in ihrem Bericht.

In einer sternenklaren Nacht kann ich vor einigen Tagen auf der Ringelspitzhütte oberhalb von Vättis in Graubünden kaum schlafen. Wer sich als Anfänger jemals eine Tour vorgenommen hat, die seine eigenen Grenzen übersteigt, weiss, wovon ich rede. Eine Mischung aus Vorfreude und Angst beschleichen mich. Habe ich genug Kraft für die Kletterpassagen? Welches Gefühl erwartet mich ganz oben? Reinhold Messner wollte als junger Alpinist einmal hoch hinaufsteigen, «um tief in sich hineinsehen zu können». 

Als Südtirolerin und damit Landsfrau des bekannten Reinhold Messner verstehe ich die Anziehungskraft der Berge. Ihre bedrohliche Schönheit wird gerne als «majestätisch» umschrieben, löst aber Ehrfurcht und Respekt aus. Ich begebe mich auf Spurensuche dieses Gefühls, eins zu werden mit dem Berg. Ein erster Versuch ist eine Tour des Liechtensteiner Alpenvereins, der mit seinen 2800 Mitgliedern der grösste des Landes ist. Es ist meine zweite Hochtour. Geplant ist der höchste Gipfel des Kanton St. Gallens, der Ringelspitz mit 3247 Metern. Der Schwierigkeitsgrad «ZS», ziemlich schwierig, flösst mir etwas Angst ein. Für Bergführer und routinierte Alpinisten bedeutet er wahrscheinlich nicht mehr als ein einfaches Training, um ihre Kondition zu halten. Für mich sind längere, exponierte Kletterstellen eine Herausforderung. 

Dir rohen Kräfte der Natur

Wer jemals in schlechtes Wetter in den Bergen geraten ist, weiss, dass sie ein Ort sind, in dem andere Kräfte herrschen. Die rohe Gewalt eines Gewitters oder des aufziehenden Nebels, in dem Bergsteiger oder Wanderer jede Orientierung verlieren, machen aus Menschen einen Spielball der Natur. Als ich am nächsten Morgen aufwache, verspricht der Wetterbericht blauen, wolkenloses Himmel und etwas Föhn. Gott sei Dank. Wenn mich also keine Windböe vom Gipfel weht, dann sollte das Wetter an diesem Tag nicht zum Feind werden. 

Die Nacht auf der Ringelspitzhütte auf 1990 Metern über Meereshöhe war weitgehend schlaflos, auch dank schnarchender Bergkameraden. Um vier Uhr morgens heisst es raus aus den Federn: 30 Minuten bleiben, um zu frühstücken und sich parat zu machen für den Aufstieg. 1250 Höhenmeter warten auf die 9-köpfige Gruppe. Durch eine Kooperation mit «Erasmus+ Jugend in Aktion» hat der Liechtensteiner Alpenverein zusammen mit dem Verein Naturfreunde Rankweil diese Tour organisiert. Die Kooperation richtet sich grenzübergreifend vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 13 bis 30 Jahren, damit sich diese besser vernetzen können. Noch in der Dunkelheit brechen wir auf, mit Stirnlampen bewaffnet geht es rund 600 Höhenmeter nach oben bis zu jenem Grat, an dem wir Helm sowie Klettergurt anlegen und in einer Zweierseilschaft an die Leine genommen werden. Es wird langsam hell. Links und rechts geht es so steil und weit hinunter, dass ein Absturz sicher tödlich enden würde. 

Der 3247 Meter hohe Berg gehört zum Unesco-Weltnaturerbe der Tektonikarena Sardona.

Als mich der Liechtensteiner Leiter der Tour, Urs Marxer, fragt, «wie geht es dir, kannst du weitergehen?», muss ich einen Moment tief Luft holen. Und als ich die steilen Wände und den bröckeligen Felsen sehe, der sich vor mir auftürmt , rutscht mir das Herz in die Hose. Bei meiner Gegenfrage an den erfahrenen Leiter, ob ich es auch wieder runter schaffe, meint Marxer nur mit einem lauten Lachen: «Oben geblieben ist noch keiner.» Ich kann darüber tatsächlich lachen. Und so atme ich nochmals tief durch – obwohl das Panorama atemberaubend ist. Der Dreitausender gehört zum Unesco-Weltnaturerbe der Tektonikarena Sardona, zu dem auch der namensgebende Piz Sardona gehört. Hier zieht sich eine dicke Linie durch den Felsen unterhalb des Gipfels und auch der umliegenden Berge. Die Rede ist von der «magischen Linie» der Glarner Hauptüberschiebung. Sie ist das Resultat einer riesigen Überschiebungsfläche, die tief im Erdinnern entstand. Die Altersunterschiede der Gesteine liegt bei 200 Millionen Jahren, wobei das ältere Gestein oben legt – hier stehen die Berge auf dem Kopf. 

Während des Aufstiegs fällt die Linie zwar auf, doch meine Gedanken kreisen gerade um die Kletterpassagen, die vor mir liegen. Einige Stunden lang im Klettergarten hinter der Ringelspitzhütte am Tag davor zu üben und klettern in der Kletterhalle ist alles an Erfahrung, die ich mitbringe. Wie ging der Achterknoten noch mal? Doch mit dem Leiter der Tour fühle ich mich sicher. Er lässt mich keine Sekunden aus den Augen und beruhigt mich, wenn ich unsicher werde. An einer Schlüsselstelle findr ich keinen Tritt für die Füsse und die Armkraft reicht nicht aus. Mit einem Ruck am Seil zieht mich Urs hoch und ich kann die Passage überwinden. Geschafft. Eine zweite Schlüsselstelle folgt, doch diesmal schaff ich es alleine. Rutschige Passagen am brüchigen Fels folgen – immer angeseilt und durch Bohrhaken im Berg gesichert. Bergstiefel mit steifer Sohle, ein Steinschlaghelm und Trittsicherheit sind ein Muss. Der brüchige Berg fordert alle Sinne der Gruppe. Doch der Gipfel ist erklommen. Die Sicht ist gigantisch – bis nach Südtirol zum schneebedeckten Ortler, der über 3900 Meter in die Höhe ragt. Ich kann es spüren, dieses Gefühl, ganz bei sich selbst zu sein, nachdem ich suchte. Diese Stille.

Erhaben ist wohl genau das richtige Wort. Oder majestätisch. Auf dem Weg zurück wird abgeseilt. Rückwärts muss ich  einige Schritte auf den Abgrund zugehen. Ich versuche mir vorzumachen, es seien nur ein oder zwei Meter. Kurz denke ich darüber nach, wie lange einem Verunglückten die Sekunden seines Absturzes wohl vorkommen müssen. Wie eine Ewigkeit? Oder geht alles einfach zu schnell? Ich verdränge diese Gedanken und durch die Euphorie beflügelt, den Gipfel erreicht zu haben, beginnt es richtig Spass zu machen. An der letzten schwierigen Stelle – zurück am Grat – rutsche ich kurz ab. Urs zieht das Seil an und schreit: «Ich habe dich.» Ich wage einen kurzen Blick in den Abgrund. Und bei allem Respekt, den mir dieser Berg einflösst, so klar wird mir, wie viel Luft nach oben es noch gibt. Der Schwierigkeitsgrad geht weiter mit S, SS, AS und EX. Diese letzte Stufe bedeutet extrem steile, teilweise überhängende Wanddurchstiege und Eiskletterei extremster Richtung – dazu zählt zum Beispiel die Eiger-Nordwand. Alleine bei dem Gedanken bekomme ich weiche Knie. 

Im Hier und Jetzt leben
Zehn Stunden nach Aufbruch auf der Hütte, ein blaues Knie und ein aufgeschürftes Handgelenk später, komme ich sicher wieder auf der Ringelspitzhütte an, bei der man vom Wirtepaar Alfons und Dorothee umsorgt wird, als gehöre man zur Familie. 

Forscher haben übrigens ergründet, woher dieses Gefühl kommt, sich so lebendig zu fühlen durch das Bergsteigen. Der Neurologe Arne Dietrich erklärt sich dies laut eines Berichts der «NZZ» folgendermassen: Die Konzentration gilt nur dem Berg, der Höhe und der Koordination. Zunächst verzichtet das Gehirn durch die hohe Belastung auf die Fähigkeit, vor- und zurückzudenken. Das Gehirn denkt nur noch an das Hier und Jetzt. Der Moment ist alles, was noch zählt. Hält die Ausdauerbelastung weiter an, verliert man nach und nach das Selbstkonzept und empfindet sich daher eins mit der umgebenden Natur. Ein wunderbares Gefühl. 

Bericht: Dorothea Alber